Ein Gigant aus Stahl schützt Root vor Hochwasser

Fast bolzengerade durchfliesst die Ron heute das gleichnamige Rontal. Stark kanalisiert und begradigt, hat der Bach zwischen Rotsee und Reuss bereits mehrfach zu Überschwemmungen geführt. In mehreren Etappen wird dem Gewässer nun mehr Raum gegeben und neues Leben eingehaucht. Die Massnahmen für Hochwasserschutz und Revitalisierung erfordern teilweise «kolossale» Anstrengungen.

Die frühmorgendliche Stimmung am Montag, 29. August 2022 ist vorfreudig-angespannt. Seit 6.00 Uhr sind das Projektteam von Basler & Hofmann und die Mitarbeitenden der beteiligten Bauunternehmen auf Platz. Je höher die Sonne steht, desto mehr Schaulustige gesellen sich dazu. In der Luzerner Gemeinde Root hat sich herumgesprochen, dass es heute etwas Einmaliges zu sehen gibt. Vor drei Tagen ist es mit den Vorbereitungen für den Ersatzneubau des Bachdurchlasses unter dem Industriegleis kurz vor Einmündung der Ron in die Reuss losgegangen. «Zuerst musste der bestehende Bach aus dem Weg geräumt und umgeleitet werden. Daraufhin wurden die Gleise demontiert und der Bahndamm abgegraben. Schliesslich wurde die Baugrube für den neuen Durchlass ausgehoben und eine ebene, verdichtete Sohle erstellt, auf der der neue Durchlass heute zu liegen kommt», erklärt Marcel Lüthi, Projektleiter im Bereich Wasser bei Basler & Hofmann.

Der neue Durchlass ist das erste Projekt dieser Grössenordnung in der Schweiz. Während der alte Durchlass aus einem konventionellen Betonrohr bestand, wird der neue Durchlass als Wellstahlprofil realisiert. «Der Vorteil der Baumethode ist vor allem eine massiv verkürzte Bauzeit sowie der deutlich geringere Einsatz von Beton», betont Marcel Lüthi. «Das Verfahren hat sich in der Praxis bewährt. Bisher hatte aber noch niemand den Mut, dieses unter einem Eisenbahngeleis einzusetzen. Da sind wir gemeinsam mit dem Unternehmer Vorreiter». Währenddessen schwebt das zweite der drei tonnenschweren Stahlelemente am Pneukran in der Luft. «Die drei Elemente wurden in den letzten Tagen in der Form einzelner Bogensegmente angeliefert und vor Ort zusammengesetzt», sagt David Lotter, Bauleiter Wasserbau bei Basler & Hofmann.

Mit vor Ort ist auch Sandra Erades, Bauleiterin für Brücken und Kunstbauten bei Basler & Hofmann. «Hydraulisch gesehen ist der Bachdurchlass die grösste Engstelle im Projekt. Daher wird diese auch zuerst behoben. Parallel dazu arbeiten wir bereits an der Aufweitung der ersten zwei Brücken. Das Spektakel heute konnte ich mir aber nicht entgehen lassen», meint Sandra Erades strahlend. Der gesamte Projektperimeter umfasst neben Root auch die Gemeinden Dierikon, Buchrain und Ebikon. Auftraggeber ist der Kanton Luzern. Die Bauarbeiten starteten Anfang 2022. Voraussichtlich Anfang 2025 sollen die Massnahmen abgeschlossen sein. Dann soll die Ron fast doppelt so viel Platz haben und die Region bis zu einem hundertjährigen Hochwasser geschützt sein. Indem das Gewässerprofil und die Ufer des Baches abwechslungsreicher gestaltet werden, soll die Ron für Fische und andere Lebewesen wieder ein attraktiver Lebensraum werden. Die Bevölkerung wird von neuen Uferwegen und Aufenthaltsbereichen profitieren.

Die Einbringung der Stahlgiganten ist bereits weit fortgeschritten. Der grösste der drei Giganten ist 45 Tonnen schwer, die beiden kleineren bringen jeweils etwas mehr als 20 Tonnen auf die Waage. Das leichteste Element wurde in grösster Entfernung zum Kran platziert. Müsste der Kran das schwerste Element vom selben Ort anheben, bestünde die Gefahr, dass der Kran ins Kippen kommt. Die Platzierung und Verbindung der drei Elemente verlangt dem Bauteam höchste Präzision ab. Mit Metallstäben packen die Arbeiter am Boden das schwebende Element und führen dieses zu den entsprechenden Löchern im bereits platzieren Stahlprofil.

Währenddessen kontrollieren Marcel Lüthi und sein Team, dass die Haltung des Baches funktioniert und kein abgesenktes Grundwasser in die Baugrube dringt. «Bevor ein Stahlelement vom Kran positioniert wird, prüfen wir mit einem Messgerät, ob der Boden darunter genügend verdichtet ist, damit das Ganze nachher auch stabil ist», erklärt Marcel Lüthi. Einmal eingebracht, wird mit Wasser seitlich aufgetürmter Kies unter den Durchlass eingeschwemmt. Dieser sorgt dafür, dass es nirgendwo mehr Luftlöcher gibt, die den Stahlgiganten in Bewegung bringen könnten. Danach werden die verschraubten Stahlsegmente lagenweise mit gut verdichtbarem Schüttmaterial eingedeckt und darüber die Gleisanlage wiedererstellt.

Eine weitere Herausforderung des Projekts liegt gemäss Marcel Lüthi im «Dunkeln». Gemeint ist der Abwasserkanal, der sämtliches Abwasser der umliegenden Gemeinden in die petrolfarbenen Gebäude der Abwasserreinigungsanlage (ARA) neben der Baustelle leitet. «Der Kanal fliesst quer unter dem Durchlass durch. Würden wir den Kanal beschädigen, wäre dies potenziell ein grosses Problem. Das Wasser könnte in die Baustelle einströmen und die Umwelt schädigen. Um das Risiko begrenzen zu können, haben wir vorgesorgt», sagt Marcel Lüthi. «Zum einen haben wir Reserverohre auf die Baustelle bestellt. Zum anderen sind in einem Schacht vor der Baustelle Pumpen und Druckleitungen eingebracht worden, mit denen das Abwasser im Falle eines Falles gestoppt und umgeleitet werden könnte.»

Nur fünf Tage nach dem Einheben der drei Stahlgiganten fährt am Freitag der erste Zug über den neuen Durchlass, während unten der Bach seinen neuen Raum einnimmt. Das Projektteam ist erfreut: «Gemeinsam haben wir gezeigt, dass sich Wellstahlprofile auch für Durchlässe unter Bahngeleisen eignen», hält Marcel Lüthi fest. Und weiter geht es im Projekt