Interview mit Rolf Steiner, Gemeinde Küsnacht - «Wir sprechen von der gläsernen Baustelle»

Die Digitalisierung hält auch im Strassen- und Tiefbau Einzug. Interview mit Rolf Steiner, stellvertretender Leiter Tiefbau der Gemeinde Küsnacht (ZH) und Initiator des Pilotprojekts "Eigenheimstrasse".

Was hat die Gemeinde bewogen, ein Pilotprojekt im Strassen- und Tiefbau zu starten?

Wir versprechen uns sehr viel von der Digitalisierung gerade für uns als Bauherren. Deshalb wollen wir aktiv Einfluss auf die Entwicklung nehmen. Wir könnten ja auch abwarten und zwei, drei andere vorangehen lassen. Aber dann fehlt uns die eigene Erfahrung und wir können nur noch „copy paste“ machen.

Worin sehen Sie den grössten Nutzen für sich als Bauherrn?

Es gibt für mich zwei wesentliche Punkte: die Qualitätssicherung und die umfassende Wissensplattform. Wir sprechen von der gläsernen Baustelle. Es kommt vor, dass wir Strassen sanieren müssen, obwohl sie erst wenige Jahre zuvor erneuert wurden. Ich möchte im Modell dokumentiert haben, was tatsächlich eingebaut wurde und in welcher Qualität. Deshalb sollen im Projekt Eigenheimstrasse Informationen von der Baustelle wie eingebaute Schichtstärken, Materialien, Lieferanten und die Einbautemperatur in den digitalen Zwilling integriert werden.

Sie wollen den Bauablauf vom Büro aus überwachen?

Es geht nicht darum, zum Kontrollfreak zu werden. Das wäre der falsche Ansatz. Aber mit dem Modell haben wir die Qualitätssicherung im Haus und können mit den Daten über den gesamten Lebenszyklus des Bauwerks arbeiten. Das ermöglicht eine gezielte Investitionsplanung.

Wie möchten Sie die Daten auswerten können?

Unsere Infrastruktur ist ein Ressourcendepot. Das ist für mich nichts anderes als Kapital im Boden. Wir müssen genau wissen, was unsere Infrastruktur wert ist und wie viel wir investieren müssen, um sie zu erhalten. Dabei wollen wir den Materialkreislauf bewusst soweit wie möglich auf dem Gemeindegebiet schliessen.

Sie haben nun erstmals einen digitalisierten Bauprozess ausgeschrieben. Ist denn alles so möglich, was Sie es sich vorgestellt haben?

Das war für mich eine interessante Frage: Wo steht der Markt? Ich bin im Vorfeld mit verschiedenen Bedenken konfrontiert worden, auch damit, dass wir den Markt überfordern könnten. Deshalb haben wir die Präqualifikation bewusst offen gehalten und haben die Unternehmer gebeten, uns zu zeigen, wie sie mit den Möglichkeiten der Digitalisierung in Themen wie Baumaterialien, Maschinentechnik, Ausführung und Vermessung umgehen. Wir waren überrascht, auf welchem Level die Besten unterwegs sind. Jetzt haben wir die Grundlagen für die konkrete Ausschreibung der zweiten Stufe.

Ein zweistufiges Verfahren ist eher ungewöhnlich im Strassen- und Tiefbau.

Das zweistufige Verfahren war dafür gut geeignet. Damit ist es uns gelungen, eine zielführende Vorselektionierung zu machen. Die heutigen Marktmechanismen im Strassen- und Tiefbau fördern leider keine innovativen Entwicklungen.

Warum nicht?

Weil wir dafür andere Spielregeln brauchen. Wir brauchen eine Philosophie, die Fehler zulassen kann und dürfen nicht als erstes fragen: Wer ist schuld? Wer zahlt? Das kannst du nur mit einem Team, das aktiv mitzieht. Der Teamspirit ist enorm wichtig für eine neue Entwicklung. Da musst du auch Mut haben.

Was würden Sie anderen Bauherren empfehlen?

Ich würde jeden zu einem solchen Projekt ermutigen. Jetzt ist der Zeitpunkt. Aber es geht nur mit 100 Prozent Einsatz. Wer nur sagt, „ich will Digitalisierung, aber keine Ressourcen dafür bereitstellen“, sollte besser die Finger davon lassen. Man kann eine solche Entwicklung nicht „by the way“ machen. Es muss Chefsache sein. Und: Lernen, lernen, lernen in konkreten Projekten. Es ist höchst spannend, und ich bin davon überzeugt, dass viel Potenzial darin liegt – für alle Projektbeteiligten. Denn das ist mir wirklich wichtig, dass alle Beteiligten – Bauherr, Planer, Unternehmer – am Erfolg der Digitalisierung partizipieren.


Das Projekt „Eigenheimstrasse“
Die Gemeinde Küsnacht (ZH) und die Werke am Zürichsee wollen die Digitalisierung im Strassen- und Tiefbau vorantreiben. Ihr erstes Pilotprojekt ist die Gesamtsanierung der Eigenheimstrasse, einer 370 Meter langen Quartierstrasse. Basler & Hofmann projektierte die Sanierung in einem digitalen Modell (BIM Infra) und begleitet die Bauunternehmersubmission. Die Gemeinde führt ein zweistufiges Verfahren mit Präqualifikation durch. Von acht Teilnehmern haben sich drei Bauunternehmungen für die zweite Phase qualifiziert.