Erfolgreicher Einsatz des Gefrierverfahrens unter dem Bahnhof Bern

Im Juli 2017 starteten die Bauarbeiten für den neuen Tiefbahnhof des Regionalverkehrs Bern-Solothurn (RBS). Der bestehende Bahnhof stösst mit 60'000 Passagieren täglich an seine Kapazitätsgrenzen. Darum wird unter dem Berner Hauptbahnhof ein neuer Tiefbahnhof mit zwei grossräumigen Kavernen gebaut. Um die zwei Kavernen unter laufendem Betrieb des Hauptbahnhofs bauen zu können, muss quer unter dem Gleisfeld ein Zugangsstollen gebaut werden. Der Bau des Stollens in Lockergestein ist heikel und erfordert den Einsatz einer speziellen Methode: dem Gefrierverfahren.

Das Handy fest im Griff, beobachtet Martin Schäfer mit Adlersaugen wie der Baggerführer auf den gefrorenen Boden ansetzt und ein Stück des künftigen Stollens mit der Schaufel abträgt. Senkt oder hebt sich der Boden im Gleisfeld über zulässige Maximalwerte, erhält Martin Schäfer, Leitender Experte Tunnelbau bei Basler & Hofmann und Chefbauleiter dieser anspruchsvollen Baustelle, über sein Handy einen Alarm. "Die Verantwortung für ein solches Projekt mitzutragen, das erlebt man als Tunnelbauer nicht alle Tage. Wir bauen den Stollen direkt unter den Gleisen des Hauptbahnhofs Bern. Wo unten gebaggert wird, verkehren oben die Züge in alle Richtungen der Schweiz. Die Baustelle ist vergleichbar mit einer Operation am offenen Herzen. Mit dem Unterschied, dass unsere Operation sechs Wochen dauert. Da muss man schon schauen, dass einem der Schnauf nicht ausgeht". Das Handy läutet. Martin Schäfer ist sofort am Hörer. Es ist seine Frau, die sich erkundigt, ob er heute die Kinder zu Bett bringen kann.

Basler & Hofmann hat in einer Planergemeinschaft die Gesamtleitung für den Bau des neuen RBS-Tiefbahnhofs inne. Um die beiden Gleishallen ausheben zu können, wird aktuell ausgehend von einem Zugangsschacht am Rande des Gleisfelds quer unter den Gleisen 1 bis 6 des Hauptbahnhofs Bern in neun bis zwölf Metern Tiefe ein Zugangsstollen gebaut. Der Bau des Stollens ist eine besondere Herausforderung: Da der Boden auf den ersten rund 46 von insgesamt 123 Metern aus wasserführendem Lockergestein besteht, das in etwa so instabil wie Sand ist, wird der Boden auf diesem Abschnitt mittels des sogenannten Gefrierverfahrens vor dem Aushub gefroren. Ist dieser Prozess vollumfänglich abgeschlossen, ist der sandige Boden pickelhart und kann wie Fels abgetragen werden.

Ein Spezialverfahren mit einer langen Geschichte

Das Gefrierverfahren ist ein nicht alltägliches Verfahren, das jedoch in der Schweiz längst bekannt ist: Bereits vor 30 Jahren baute man in der Schweiz mit dieser Methode 2,5 bis 3,5 Meter unter der Sohle der Limmat in Zürich einen Tunnel für die S-Bahn. Basler & Hofmann war damals massgebend beteiligt – ein wertvoller Erfahrungsschatz für die Bauarbeiten in Bern.

Gemeinsam mit Markus Gresz, Losbauleiter von Basler & Hofmann, begutachtet Martin Schäfer fasziniert einen Brocken des Aushubmaterials. "Hier an der Ortsbrust zeigen die Kratzspuren des Baggers eindrücklich, wie hart der Boden durch das Gefrieren geworden ist", sagt der erfahrene Bauleiter. "Es wurden durchaus auch andere Verfahren geprüft. Das Gefrierverfahren hat sich jedoch als die beste Wahl herauskristallisiert", erklärt Martin Schäfer. "Tunnelbau ohne Risiken gibt es nicht. Wir planen und wir bauen aber so, dass die Risiken auf ein mögliches Minimum reduziert werden. Zudem haben wir ein sehr gutes, Ereignismanagement aufgebaut, das uns im Falle eines Falles leiten würde", hält Martin Schäfer fest.

Eine Kältemaschine für den Tunnelbau

Für das Gefrieren des Bodens wurden in einem ersten Schritt im Bereich des künftigen Stollens in kurzen Abständen über 60 Meter lange Hüllrohre in den Boden gebohrt. Mit dem sogenannten HDD-Bohrverfahren wurden die Rohre bis auf 20 Zentimeter lagegenau eingesetzt. In diese Hüllrohre wurden anschliessend die Gefrierlanzen, aber auch Temperaturmessketten sowie Be-und Entwässerungsrohre eingeschoben. Über zahlreiche schwarze Gefrierleitungen wurden die Gefrierlanzen dann an eine Kältemaschine angehängt. Mit Sole als Kühlmittel wurde dem Boden so im ganzen Stollenquerschnitt nach und nach die Wärme entzogen. Der Aufbau des Gefrierkörpers dauerte ungefähr von Anfang August bis Anfang September. Am 11. September wurde die Freigabe zum Durchbruch der Schlitzwand erteilt. Die Vortriebsarbeiten für den Stollen konnten gestartet werden.

Markus Gresz steigt in einen engen Servicegang unter der Tunnelsohle. Es ist dunkel, feucht – und kalt. Mit einer Taschenlampe zeigt er auf die gefrorenen Köpfe der Gefrierlanzen. "Teilweise haben wir an den Köpfen Thermometer eingesteckt, um die Temperatur lokal zu überprüfen", erklärt er. Die Temperaturmessung ist ein ausgeklügeltes System: Insgesamt zehn Temperaturmessketten wurden verbaut. "Jetzt, da der Boden komplett gefroren ist, schalten wir die Kältemaschine zeitweise ab und wieder an. Der Gefrierkörper darf nicht unendlich weit weiterwachsen, denn Eis dehnt sich aus, was zu ungewünschten Hebungen der Gleise führen könnte", erklärt Markus Gresz.

Digitalisierung der Bauleitung

Zurück aus dem Servicegang, begibt sich Markus Gresz zu Martin Schäfer. Gemeinsam kontrollieren die beiden den Ablauf der aktuellen Bauarbeiten und dokumentieren den Baufortschritt. Während dies bis vor Kurzem noch mit Zettel und Fotoapparat gemacht wurde, erfolgt dies heute direkt digital mit einem Tablet. "Wir können direkt in einer Software Checklisten abarbeiten, Dokumentationen und Journale erstellen und Aufgaben generieren. Für uns bedeutet dies eine enorme Effizienzsteigerung und vereinfachte Kommunikation", erzählt Martin Schäfer sichtlich begeistert. Der ganze Stollen wurde zudem mit Building Information Modelling (BIM) geplant. Dank des digitalen Modells konnte zum Beispiel vorab, wie auch während der Ausführung, geprüft werden, ob es zwischen den Richtbohrungen und dem Tunnelgewölbe zu Konflikten kommen könnte.

Erfolgreicher Abschluss der Gefrierphase

Mitte November war es soweit: Nach rund zwei Monaten Bauzeit ist die kritische Bauphase im Gefrierkörper abgeschlossen – die Kältemaschine kann abgestellt werden. Während des Aushubs des Stollens im Lockergestein konnte der sichere Betrieb der Bahnstrecken oberhalb des Stollens durchgängig aufrechterhalten werden. Nun geht der Bau des Stollens im Fels weiter. Die Inbetriebnahme des neuen RBS-Bahnhofs ist für 2027 vorgesehen.

 

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