«Brandschutz wird risikobasiert und kostenoptimiert»

Der Brandschutz in der Schweiz steht vor einem Paradigmenwechsel. Ab 2027 sollen Vorschriften gelten, die stärker risikobasiert und wissenschaftlich geprüft sind. Der tatsächliche Nutzen der Massnahmen und ihre Wirtschaftlichkeit werden eine grössere Rolle spielen als bisher. Im Interview sagt unser Brandschutzexperte Christian Aumayer, welche Folgen für den Betrieb und die Planung von Gebäuden zu erwarten sind.
Brandschutzvorschriften sollen helfen, Bauten und Anlagen so zu erstellen, zu betreiben und instand zu halten, dass die Sicherheit von Menschen und Tieren gewährleistet ist und Bränden und Explosionen vorgebeugt wird. Flammen, Hitze und Rauch sollen sich möglichst nicht ausbreiten können. Über diesen Grundsatz gibt es nicht viel zu diskutieren. Die Kernfrage lautet aber: Wie ist dieses Ziel am besten zu erreichen? Und welche Art von Vorschriften braucht es dafür? Hier hat in den letzten Jahren in Umdenken stattgefunden.
Das IOTH, ein interkantonales Organ, hat die Vereinigung der kantonalen Feuerversicherungen (VKF) 2018 beauftragt, die Vorschriften auf Basis eines risikoorientierten Ansatzes zu revidieren – erstmals unter Einbezug wichtiger Stakeholder der Branche. Unser Brandschutzexperte Christian Aumayer war einer von ihnen. Wir haben ihn gefragt, was sich beim Brandschutz verändert.
Christian, du bist in die Überarbeitung der Brandschutzvorschriften involviert. Wie kam es dazu?
Es ist das erste Mal, dass die Brandschutzvorschriften zusammen mit den relevanten Stakeholdern wie dem SIA, der Bauwirtschaft, Feuerwehr und Eigentümerschaften überarbeitet werden. Zuvor hat sie die Vereinigung der kantonalen Feuerversicherungen (VKF) jeweils selbständig erarbeitet. Durch die Kollaboration mit den Stakeholdern wird deren Sichtweise abgeholt und die Vorschriften werden eine breitere Akzeptanz erhalten. Ich war von 2019 bis 2024 als Repräsentant der Interessensgemeinschaft privater professioneller Bauherren (IPB) im Stakeholderprozess involviert. Heute verfolge ich die Finalisierung der Vorschriften als Gast. Von Seiten Basler & Hofmann ist auch mein Kollege Gianluca De Sanctis im Prozess involviert, als Mitglied der Schweizer Sektion der Society of Fire Protection Engineers (SFPE), der weltweiten Berufsvereinigung von Brandschutzingenieuren.
Was wird sich im Brandschutz mit der jetzigen Überarbeitung ändern?
Die grösste Änderung ist, dass der künftige Brandschutz faktenorientiert, risikobasiert und kostenoptimiert wird. Die neuen Brandschutzvorschriften werden auf risikobasierten Schutzzielen fussen und damit eine wissenschaftlich fundierte Basis haben. Es gibt sehr wenige Länder, die ihre Massnahmen wirklich auf Fakten basierend definiert haben. Die Schweiz ist die erste Nation, die diesen Weg konsequent geht und die Vorschriften des Brandschutzes entsprechend anpasst.
Wie wird diese Kosten- und Nutzenorientierung erreicht?
Es wird für jede Massnahme geprüft, wie weit sie die Sicherheit im Brandschutz erhöht und ob diese Investition in mehr Sicherheit verhältnismässig ist. Man will keinen übertrieben teuren Schutz. In der Schweiz mussten wir seit 2004 und im Verhältnis zur Einwohnerzahl nur geringe Brandopferzahlen beklagen. Noch mehr Vorschriften – und höhere Ausgaben – bedeuten nicht automatisch noch weniger Opfer. Dieses Thema wird in der Überarbeitung angegangen. Dabei gilt der Grundsatz: Die akzeptierten Risiken im Brandschutz sollen weder höher noch tiefer sein als in allen anderen Lebensbereichen.
Wie kam es zum Kosten-Nutzen-Ansatz?
Historisch gesehen, hat sich der Brandschutz aus Katastrophen heraus entwickelt: Es gab ein Brandereignis und in der Folge wurden Gegenmassnahmen eingeführt. Dabei spielte es oft eine untergeordnete Rolle, wie viel eine Massnahme im Vergleich zum Sicherheitsgewinn kostete. So entstand ein grosses Regelwerk.
Heute haben wir nun sehr viele Möglichkeiten, den Schaden bei Bränden noch weiter zu reduzieren. Aber die Kosten dafür können eben auch sehr hoch sein. Und wir sind jetzt an einem Punkt, wo sich die Frage stellt: Steht dieser vielleicht minime Zugewinn an Sicherheit durch diese Massnahme noch in einem akzeptablen Verhältnis zu deren Kosten? Deshalb wird jetzt das Kosten-Nutzen-Verhältnis jeder Massnahme geprüft. Das heutige Sicherheitsniveau im Brandschutz soll erhalten bleiben, aber es soll auch kein volkwirtschaftliches Missverhältnis zwischen Kosten und Nutzen geben.

Kommt es zu einer Deregulierung?
Ja, es war durchaus auch das Ziel der Überarbeitung, die Anzahl der Vorschriften zu reduzieren, sie zu vereinfachen und den Vollzug zu vereinheitlichen. Wenn wir die Wirksamkeit jeder Massnahme kennen, können wir jene Massnahmen, die wenig Schutz bringen, aber für die Bauherrschaft teuer sind, in Zukunft ausschliessen. So lassen sich die Vorschriften verschlanken und die Volkswirtschaft wird nicht unnötig mit Kosten für Massnahmen belastet, die nachweislich wenig bringen.
Welche Folgen hat der Paradigmenwechsel für den Brandschutz?
Der grosse Paradigmenwechsel ist die Verantwortung, die auf Planerinnen und Planer sowie Eigentümern von Gebäuden neu zukommt. In der Planung können verschiedene Methoden für den Nachweis des Sicherheitsniveaus gewählt werden, von vorgegebenen Massnahmen bis hin zu risikobasierten Analysen.
Künftig kommen ingenieurmässige Betrachtungen mehr zur Geltung, so dass zweckmässige und verhältnismässige Brandschutzmassnahmen umgesetzt werden. Die Hauptverantwortung für den Brandschutz liegt künftig bei den Planenden und Eigentümern. Die Aussage «Das hat die Behörde nicht beanstandet, also machen wir nichts», entfällt als Argument. Die Eigentümerschaft ist verantwortlich dafür, dass die Brandschutzmassnahmen funktionsfähig und die Unterlagen aktuell sind.
Was bedeutet der risikobasierte Ansatz für deine Arbeit als Brandschutzexperte?
Als Planer kann ich die Kundschaft künftig umfassender beraten, die Vor- und Nachteile jeder Massnahme faktenbasiert aufzeigen. Insgesamt eröffnen sich mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Ich kann der Bauherrschaft und den Architekten aufzeigen, wie die Massnahmen ineinandergreifen und das Risiko in jedem spezifischen Fall bis ins Detail untersuchen.

Wann treten die neuen Vorschriften in Kraft?
Die neuen Vorschriften werden zuerst noch – im September 2025 – in die technische Vernehmlassung geschickt. Alle Interessierten werden sie einsehen und Änderungen anregen können. Danach ist noch eine politische Vernehmlassung vorgesehen. Wenn alles gut läuft, treten die neuen Brandschutzvorschriften im April 2027 in Kraft.